Rückblick auf mein Leben als Single
– von Ruth
Meine Lebensplanung im heiratsfähigen Alter sah wie folgt aus: Ich werde heiraten und viele Kinder bekommen. Doch jetzt mit 87 Jahren weiß ich: Gott hatte andere Pläne mit mir.
Ich bin das achte von elf Kindern. Nach meinem Abitur studierte ich Soziale Arbeit und trat mit einer Freundin zusammen eine Stelle in einem Jugendamt an. Sie verliebte sich in dieser Zeit in einen Mann, mit dem sie noch heute verheiratet ist. Mit ihr, ihrem Mann und der ganzen Familie verbindet mich eine tiefe Freundschaft.
Bei einem Fachkongress verliebte ich mich dann in einen Kollegen. Ich wusste jedoch bald, dass er verheiratet ist. Damals sah ich darin kein Hindernis. Ich lebte so, wie ich es für richtig hielt; allerdings hatte ich immer auch ein schlechtes Gewissen, welches ich aber zur Seite schob. Alles, was wir taten, war nur vom Gefühl des Verliebtseins bestimmt. Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als ich Angst bekam und mir überlegte, wie ich mir das Leben nehmen würde, wenn ich schwanger wäre. Ich brach die Beziehung ab.
Mein Leben in Gottes Hand
Einige Jahre später studierte ich nochmals: für das Lehramt an Sonderschulen. Während dieser Zeit bekam ich Kontakt zu einer Gruppe der Studentenmission Deutschlands (smd) und kurz darauf die Einladung einer Freundin zu einer Tagung des »Marburger Kreises« (heute: »leben – begegnen«), die ich annahm. Dort erlebte ich Menschen, die offen über ihr Versagen, falsche Entscheidungen, Mangel an Selbstbewusstsein und Vertrauen sowie anderen Erfahrungen, die sie belasteten, berichteten. Die Vorträge waren für mich sehr hilfreich. Es wurde gesagt, dass Gott nicht nur unsere Schokoladenseiten sehen, sondern an Jesus deutlich wird, dass er uns Freiheit schenken möchte. Ich konnte ihm deshalb alles, was mich von ihm trennte, überlassen.
Ich begriff damals, dass ich mich mit allem, was mich ausmacht, Gott überlassen und von ihm verändern lassen sollte.
Das wollte ich! Im Einzelgespräch mit einer Mitarbeiterin aus dem Tagungsteam bekräftigte ich meinen Wunsch, mein Leben am Willen Gottes auszurichten.
Damit begann für mich mit Anfang 30 ein neuer Lebensabschnitt. Ich gewann einen neuen Zugang zum Glauben. Es ging mir nicht mehr nur noch darum, alles richtig zu machen. Gott war für mich nicht mehr der große Richter und Aufpasser, vor dem ich mich in Acht nehmen musste. So hatte ich es jahrelang geglaubt und war verkrampft und unfrei gewesen. Diese Entscheidung veränderte nach und nach auch meine Einstellung zum Leben, ohne meine eigenen Vorstellungen, z. B. von Partnerschaft und Familie, verwirklichen zu müssen.
Von dieser Zeit an war es mir wichtig, täglich in der Bibel zu lesen. Hilfreich war mir dabei immer wieder die Fragen: Was sagen mir die Worte? Was lerne ich dabei? Die Angebote in dem ökumenischen und altersgemischten Hauskreis waren für mich als Single wertvoll. Regelmäßig traf ich mich mit einer anderen Mitarbeiterin zum Austausch über das Gelesene und alle persönlichen Fragen und Probleme, die damit zu tun hatten. Mit seelsorgerlicher Hilfe konnte ich u. a. auch über meine Wünsche und Vorstellung von der Gründung einer Familie sprechen und sie im gemeinsamen Gebet vor Gott bringen. Trotzdem sah ich noch einige Jahre lang Männer daraufhin an, ob wir gemeinsam eine Familie gründen könnten und schaute etwas neidisch auf junge Eltern mit ihren Babys.
Beschenkt mit Kindern
Beim Lesen in der Bibel traf ich auf das Wort, dass die Einsame mehr Kinder hat als die Vermählte (Jesaja 54,1 und Galater 4,27). Das brachte mich für längere Zeit zum Nachdenken. Was bedeutete das für mich? Inzwischen hatte ich Aufgaben, die mich erfüllten und für die ich Zeit und Kraft einsetzen musste. Gerade dabei merkte ich, wie gut es ist, solche Aufgaben übernehmen zu können, weil ich keine Verantwortung für Familie hatte. Später merkte ich, dass Gott mir nicht einen Mangel zugemutet, sondern mich auf seine Weise beschenkt hat: Ich habe Kinder, Enkel und Urenkel durch die Familien meiner Geschwister und Freunde. Ich durfte als Tante viel Zeit mit meinen Nichten und Neffen verbringen, was sie für mich fast zu eigenen Kindern werden ließ. Ich lernte in all den Jahren auch junge Menschen kennen, die Kinder bekommen haben und ich durfte Gemeinschaft mit ihnen und ihren Kindern (damals für mich im Enkelalter) verbringen. Und mittlerweile bin ich in einem generationsübergreifenden Hauskreis mit einer jungen Familie, passe auf deren Kind regelmäßig auf und darf so mein Uroma Sein ausleben – und ich werde von dem Kind sogar »Oma« genannt. Da war für mich die Erklärung für die biblischen Stellen, über die ich ja schon einige Zeit nachgedacht hatte.
Ich bin heute nicht mehr neidisch, wenn Menschen um mich herum heiraten und Kinder bekommen, sondern kann mich von ganzem Herzen mit ihnen freuen.
Seit mehr als 60 Jahren habe ich auch ein anderes Geschenk, das für mich kostbar und wichtig ist: eine Freundin. Wir haben Teil an unseren beiden Familien, helfen uns gegenseitig und profitieren von der Unterschiedlichkeit. Wichtig ist, dass wir einander korrigieren und auf vielerlei Weise hilfreich begleiten können.
Ich lebe nicht im Gefühl des Mangels, sondern sehe meine vielen Möglichkeiten als Single, um die ich nun manchmal von Verheirateten beneidet werde. Mit David kann ich den Satz aus Psalm 23 sagen, der für mein Leben eine wichtige Weichenstellung war: »Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln.«
Zur Autorin: Ruth (Jg. 1942) und ist alleinstehend. Sie machte eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin und studierte Sonderschullehramt. Nach 25 Jahren Lehrtätigkeit in Berlin ist sie seit 2005 im Ruhestand und wohnt jetzt in Kassel. Aktuell fördert sie ausländische Kinder in Deutsch und Englisch und arbeitet in ihrer Kirchengemeinde mit.