K A T R I N K R O L L
Kreativ und entspannt durch die Krise … !?
Emotionale Muskeln
In meiner Arbeit als Seminarleiterin und Therapeutin komme ich mit vielen Menschen ins Gespräch und es hat mich sehr berührt, wie diese gesamtgesellschaftliche Krise unsere gemeinsameTragkraft herausgefordert hat. Da wurde dann auch schnell sichtbar, welche Beziehungen tragfähig waren und welche Systeme vielleicht auch schon vor Corona am Limit liefen. Ich kann gut nachvollziehen, wie es den Menschen erging, die ihre Arbeitsstelle verloren haben oder unter der Einsamkeit
während eines Lockdowns zutiefst gelitten haben.
Da gab es eine Vielzahl sehr intensiver Gefühle, die bewältigt werden wollten. Und es ist eben nicht immer leicht, aus dem Stand ins Training zu gehen ... Da geht es einem wie im Fitnesscenter: Am Anfang entwickelt sich leicht Muskelkater und der heimliche Wunsch, aufzugeben, wird immer lauter. Und ich denke, dass es eben auch nicht immer gut funktioniert, mit Überforderung durch emotionale Belastung alleine zurechtzukommen. Ich habe einige Tränen geweint über die Rangerstämme*, die den Kids und Familien kleine Tüten mit Spielideen vorbeigebracht haben oder über den spontanen Zusammenschluss von Helfern in der Stadt, die diejenigen mit Lebensmitteln und guten Wünschen versorgt haben, die sich nicht mehr getraut haben, aus dem Haus zu gehen.
Affektregulation
Um schwierige Situationen zu bewältigen, braucht der Körper Hilfe, um mit dem Stress umzugehen. Dazu müssen wir ihn mit den auftauchenden Gefühlen unterstützen.
Wenn die Trauer, die Wut oder die Angst eine gewisse Intensität erreichen, belasten sie unsere Gesundheit und verändern die Leistungsfähigkeit unseres Körpers, besonders des Gehirns.
Das wird z. B. durch die veränderte Hormonlage im Blut deutlich: Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Merkstörungen, gereizte Stimmung und Infektanfälligkeiten nehmen zu. Und dann erleben wir nicht nur eine anstrengende Zeit, sondern es fehlt uns auch die Möglichkeit, über gute Lösungen nachzudenken oder sinnvoll zu handeln. Ich habe mit sehr vielen Menschen in den letzten beiden Jahren überlegt, was zur Beruhigung und zu Trost, Entspannung und Erholung beitragen kann. Es geht dabei ja eben nicht darum, die Dinge, die schwierig sind, nur auf die Seite zu schieben. Vielmehr helfen wir dem Körper, sich wieder so weit zu erholen, dass wir unsere Fähigkeiten zur Bewältigung wieder nutzen können. Und da sind auch kleine Schritte schon hilfreich: das Fenster öffnen und tief durchatmen, einen Tee kochen und in Ruhe trinken, eine warme Decke über die Schultern legen. Was hier so banal klingt, kann der erste Schritt sein, die schwierige Situation durchzustehen.
Ressourcen und Quellen
Eine Familie musste mit drei Kindern in Homeoffice und Homeschooling wechseln und ich habe wirklich mit ihnen allen gelitten. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder vor Rührung weinen sollte, als mir die Mutter erzählte, dass sie jetzt gemeinsam ein Hühnerhaus gebaut und Küken aufgezogen hatten. Mein erster Impuls war: „Auch das noch!“ Aber dann habe ich verstanden, dass das Hühnerhaus für diese Familie ein neuer Bezugspunkt wurde und die gemeinsame Arbeit daran im Corona-Stress eine sinnvolle Quelle von Freude und Gemeinsamkeit wurde. Das Hühnerhaus wurde uns im Nachgang zu einem Symbolbild. Luther formuliert ähnlich, wenn er sagt, dass er ein Apfelbäumchen pflanzen würde, wenn morgen die Welt untergeht.
Es geht darum, etwas Neues zu wagen, in die Zukunft zu investieren und Hoffnung sichtbar werden zu lassen.
Die Krise dauert jetzt schon einige Zeit und so langsam geht wohl dem einen oder anderen die Puste aus. Es ist wichtig, dass wir in unserer Gesellschaft weiter zusammenstehen und uns gegenseitig helfen. Das ist ja das gute an Gemeinschaft: Wenn der eine schwach ist, hat der andere noch ein wenig Kraft und umgekehrt. Natürlich ist es auch wichtig, der Trauer und dem Zorn mal Luft zu machen und dafür brauchen wir Akzeptanz, Zeit und Raum. Und wir brauchen es, dass wir gemeinsam überlegen, wie wir in Zukunft mit uns und unserer Welt umgehen wollen. Aber dazu ist es zunächst notwendig, dass wir als die einzelnen Glieder der Gesellschaft immer wieder neu Kraft schöpfen und uns immer wieder neu verbünden, um mit den Herausforderungen umgehen zu können, die auf uns zukommen. Und nicht zuletzt spricht uns Gott immer wieder neu zu, dass er uns alle Tage zur Seite steht.
Katrin Kroll
Katrin Kroll, arbeitet therapeutisch mit Kindern, Jugendlichen und Familien und ist in der Erwachsenenbildung tätig. In der Krisenzeit hilft ihr besonders die Natur zum Luftholen und Freudetanken ... Und geteilter Humor, damit es weiter gehen kann.