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U L R I C H   K L A A S

„Jeder Bruch ist ein Aufbruch, der nach Veränderung sucht“

Aus der Krise zur Kreativität

Jeder wünscht sich ein Leben, das geprägt ist von Glück, Erfolg und nicht zuletzt Gesundheit. Auch wenn das nicht 100-prozentig erreichbar ist, gibt es für jeden ein Level, ab dem man eine gewisse Zufriedenheit empfindet. Bis 2009 glaubte ich, dass ich zufrieden sei – glücklich verheiratet, vier Kinder, eigenes Haus und das Ziel der eigenen Karriereleiter erreicht. Letzteres hat mein Kartenhaus dann aber zu Fall gebracht.

Beruflich hatte ich es sehr weit geschafft, aber genau dort wurde mein gesamtes Leben aus der Bahn geworfen. Strukturen hatten sich verändert, sodass ich nicht mehr hineinpasste. Durch diese Situation habe ich ein Burnout mit einer mittelschweren Depression bekommen, wodurch ich arbeitsunfähig wurde und letztlich meine Arbeitsstelle verlor.

Damit ging der Verlust meines eigenen Selbstwertgefühls, der Fröhlichkeit und meiner Motivation einher, was teilweise so schwer auf mir lastete, dass ich einfach nicht mehr weiterleben wollte. Neben der großen Traurigkeit und Antriebsschwäche kamen gleichzeitig noch eine große Wut und die Erinnerung an Verletzungen aus meiner Kindheit und Herkunftsfamilie in mir hoch.

Dass etwas in mir zerbrochen war, wusste und spürte ich, aber richtig fassen konnte ich es nicht. Selbst den Schmerz über diesen Bruch in meinem Leben konnte und wollte ich weder aushalten, noch konnte ich ihn beschreiben.

Für meine Frau und die Kinder war es eine sehr schwere Zeit. Beziehungen zerbrachen, da ich mich sehr zurückzog. Tatsächlich habe ich so aber erfahren, wer es mit der Freundschaft wirklich ernst meinte.

Mir und meiner Frau wurde klar, dass ich ohne Hilfe nicht alleine aus diesem Bruch und der großen Traurigkeit herauskommen würde.

Viele Gespräche (unter anderem auch bei Team.F) brauchte ich, um meiner tiefen Traurigkeit Raum zu geben. Anfang 2010 habe ich dann eine Reha in der Ignis-Klinik genehmigt bekommen. Wie dankbar war ich, dort hin zu können. Viel Gutes hatte ich von der Klinik gehört und durch eine vorherige Präventionswoche schon kennengelernt.

Verborgene Kreativität
Sechs Wochen – wie auf einer Insel – waren Balsam für meine Seele und durch die Zeit dort habe ich eine in mir verborgene Kreativität entdeckt. Auslöser war eine Andacht meiner Therapeutin. Es ging um eine Glasvase, die zerbrochen war; eigentlich um einen Scherbenhaufen, den man nur noch in den Müll werfen konnte. Doch jemand nahm sich diesem Scherbenhaufen an und es wurde daraus eine Lampe – etwas Neues ist entstanden.

Daraus habe ich mir mitgenommen, dass mein Herz ebenso wie die Vase gebrochen war. Ich habe es wie einen Scherbenhaufen gesehen. Darüber musste ich sehr weinen und habe innerlich getobt, weil gleichzeitig so viel Wut in mir hochkam. Einfach, weil ich nicht verstehen konnte, dass aus dem zerbrochenen Herz etwas Neues entstehen kann. Ich fühlte die Zerrissenheit, hatte aber keine Möglichkeit, selbst daran zu kommen bzw. meine Gefühle zu beschreiben. Es dauerte zwei Tage, während denen mir einfach nur schlecht war. Die Traurigkeit nahm zu, bis mich ein Bibelvers berührte:

„Er heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden.“ Psalm 147,3

Das ging mir nicht mehr aus dem Kopf.

Zu Hause hatte ich noch Mosaiksteine. Diese ließ ich mir von meiner Frau schicken. Alles andere besorgte ich mir selbst. Von nun an war ich im Therapieraum „Kreativität“ aufzufinden. Bis dahin hatte ich weder malen, noch töpfern, schon gar nicht Speckstein feilen wollen, denn ich empfand dies nicht als sinnstiftend für mich.

Doch nun formte ich mit den glatten, spitzen und sogar scharfkantigen Mosaiksteinen ein Herz auf eine Platte. Für mich war es mein Herz, das da lag – zerbrochen und nur ein Haufen unterschiedlichster Steine. Meine Hände fingen an, zu gestalten, Stein für Stein. Es passte nicht gleich alles, also musste umgestaltet werden. Das machte mich nervös, tat weh, bis das Herz vollständig vor mir lag und verfugt war. Nun konnte ich es anfassen. Da war es wieder. Ich konnte etwas fühlen, teilweise spitz und scharfkantig, dann wieder glatt. Die Fugen nahm ich als Narben wahr.

Wenn nicht gleich perfekt, aber es war ein Herz und es war gut. So musste mein eigenes Herz wohl aussehen. So sieht Heilung aus. Nicht wie vorher, aber neu. Lebendig, unruhig und doch auch teilweise glatt, was sich wieder gut anfühlte. Das machte mich ruhiger.

Die heilende Wirkung der Bilder
Ich besprach das Herz mit der Ergotherapeutin und es tat so gut, endlich über mein Innerstes sprechen zu können. Ich konnte von dem Bild einfach nicht loslassen, weil ich spürte, dass es mit mir etwas machte. Es fühlte sich nicht leicht an, aber es tat gut. Sie schlug vor, Farbe außen herum mit ins Spiel zu bringen. Das machte mich wieder unruhig. Malen hat mir noch nie gelegen und von Acrylfarben aus der Kunstmalerei hatte ich ehrlich noch nie gehört. Ich ließ mich darauf ein, obwohl ich dachte, dass nichts dabei rumkommen würde, und kaufte mir die Farben.

Bei dem Herz dachte ich an rot. Das war der Grundton, den ich zuerst anwandte. Es sah aber überhaupt nicht gut aus. Einfach dahin gepinselte Farbe und schon wieder ärgerte ich mich wegen meines Herzens. Diese Gefühle kannte ich. Schließlich hatte ich von klein auf gesagt bekommen, dass ich nichts kann und aus mir eh nichts wird. Dieser eine von vielen anderen Glaubenssätzen hatte sich doch tief in meinem Leben verankert. Er ist nicht nur mit Worten, sondern auch mit vielen Verletzungen in mir festgebrannt worden. Genau wie ich mir das gedacht hatte: „Das schaffst du nicht, das kannst du nicht. Du und malen ...“ Schon wollte ich wieder alles aufgeben und zur Seite legen.

Die Therapeutin ließ jedoch nicht locker. Sie sagte nicht, dass es nicht gut aussah, sondern ermutigte mich, Farben beim Malen zu mischen. Und damit veränderte sich auf einmal etwas. Ich mischte rot und etwas grün zusammen. So entstand etwas, das mich ansprach. Da gestaltete sich so viel Neues, was sich in mir bewegte. Ich fühlte so eine Freude, die Farben aufzubringen und zu mischen, bis es passte.

Erst nachdem das Mosaik-Herz fertig gestaltet war, spürte ich, dass auch ganz viel in meinem eigenen Herzen passiert war. Das Bild hängt heute in unserem Wohnzimmer – immer wieder sehen es Ratsuchende, die davon berührt sind, weil sie Ähnliches erlebt haben.

Plötzlich nahm ich die vielen anderen Bilder in der Einrichtung wahr, von Menschen, die ebenfalls in der Klinik eine Reha gemacht hatten und an denen ich bis dahin achtlos vorbeigelaufen war. Die Farben, der Ausdruck der Gestaltung und die Motive sprachen mich so persönlich an, weil ich nachvollziehen konnte, was andere erlebt hatten. Ich konnte mich mit den Bildern der anderen irgendwie identifizieren.

Immer mehr Bilder
Von da an habe ich mit Farben experimentiert – Acrylfarben, Wachsstifte und Pastellfarben ausprobiert.

Ich begann, Motive zu malen, mal bunt, mal in grau und schwarz. Dabei ging es immer um meine wahrgenommenen Gefühle, die heraus wollten.

Nach der Reha habe ich weiter gemalt und Malkurse besucht. Viele Bilder entstanden, meist traurige, die für mich wichtig waren, weil sie mein Inneres abbildeten. Natürlich auch andere Bilder mit wichtigen Motiven und unterschiedlichsten Farbwelten.

Die Bilder berührten mich, halfen mir, mich selbst zu verstehen.
Ich konnte Bilder und Farben auf meine Seele legen, die wie Balsam waren und mir halfen, mich besser zu verstehen. Ein Bild, das ich gemalt habe, ist ein brennendes Herz. Mitten im Herz ist eine Stelle, die mit Kohle gefüllt ist. Fühlt man darüber, werden die Finger schmutzig. Burnout heißt, „ausgebrannt sein“. Ich musste das malen, ich musste es sehen, weil die Frage in mir immer wieder kam: Warum bin ich ausgebrannt? Als das Bild fertig war, konnte ich es wieder nicht aushalten. Es tat mir weh, vieles kam wieder hoch. Dieses ausgebrannte Herz brauchte Heilung. Aber wie? Ich gestaltete eine aus Gips geformte Hand auf das Herz, die sanft die ausgebrannte Stelle berührt. Das hat so viel in mir verändert, so viel Heilung und Hoffnung gegeben. Gott heilt die, die zerbrochenen Herzens sind ...
Neue Perspektive und Dankbarkeit
Ich sehe mich heute nicht als Künstler, durfte aber eine Kreativität in mir entdecken, die mir gut tut. Dafür bin ich Gott unendlich dankbar.

Mittlerweile male ich so gut wie gar nicht mehr. Durch meine eigene Entwicklung und einen Workshop ist mit der Umgang mit Holz wichtig geworden. So entstanden Schriftzüge.

Meine große Traurigkeit habe ich überwunden.

Ich bin heute beruflich als selbständiger Seelsorger und Coach unterwegs und berate andere Menschen. Jemand, der eigentlich gelernt hat zu glauben, dass er nichts kann, berät heute Menschen, die auf der Suche nach der Berufung ihres Lebens sind. In jedem steckt eine Berufung mit Aufgaben und einer Kreativität, die das Leben besonders macht. Es lohnt sich, das zu suchen und zu entdecken. Hellen Keller hat einmal gesagt „Was ich suche, ist nicht da draußen, es ist in mir."

Es hat sich so viel verändert und ist gut geworden und ich brenne wieder – auf gute Weise. So entstand aus dieser Krise die Erfahrung, dass jeder Bruch ein Aufbruch sein kann, der nach Veränderung sucht.

Ulrich Klaas

Ulrich Klaas ist verheiratet und hat vier Kinder. Er arbeitet als Berater und Coach und ist gemeinsam mit seiner Frau Christiane ehrenamtlicher Team.F-Mitarbeiter in NRW. Kontakt: www.klaas-inspiriert.de