Mehr als leere Worte
– von Bettina Pfaff
»Vergeben und vergessen.« und »Die Zeit heilt alle Wunden.« – Wer kennt diese Sprüche nicht? Aber ist das so einfach und ist es überhaupt die Wahrheit?
Über Vergebung lesen und hören wir Christen immer wieder und doch fragen wir uns oft, was es bedeutet und wie das eigentlich geht. Sehen wir Vergebung als christliches Pflichtfach, um andere zu entlasten, oder als Angebot und Schlüssel, den wir von Gott in die Hand bekommen, um aus einer Verletzung wieder in die Freiheit zu kommen und innere Heilung zu erfahren?
Vergeben ist nicht »Schwamm drüber«…
… und alles ist vergessen. Vergebung ist auch nicht eine brave Hausaufgabe, die wir als Christen machen müssen, damit alles wieder gut ist. Ja, wir handeln oft sündig in einer gefallenen Welt und werden in Beziehungen aneinander schuldig. Aber hier braucht es den Zuspruch Gottes und die Kraft der Vergebung, um Seelenfrieden zu erlangen.
Vergebung ist ein Befreiungsschlag für unsere Seele, die eine Entscheidung und Eigenverantwortlichkeit voraussetzt, eine Art Hygiene, um unser Herz reinzuhalten.
Bei der Vergebung geht es also nicht nur darum, die Person, von der wir uns verletzt fühlen, frei zu sprechen, sondern darum, unser eigenes Herz frei von Groll und Bitterkeit zu halten.Ich glaube, jeder von uns kennt diese Reaktion und es geht so schnell: Ein Wort, ein Verhalten, ein Blick und wir fühlen uns von jemandem verletzt. Der Schmerz wächst zu Groll an, schlägt in Bitterkeit um, und wir verschließen unser Herz. Ein verschlossenes Herz, mit dem wir dann anderen Menschen und Gott begegnen möchten.
Mehr noch, mit diesem verschlossenen Herz wollen wir mit anderen Menschen und mit Gott in Beziehung treten. Zusätzlich ist mit dem Schmerz dann oft noch eine Erwartung gekoppelt, dass die Person, von der wir uns verletzt fühlen, uns das Geschehene wieder gut machen soll! Bei dem Gedanken stelle ich mir oft vor, dass wir der Person die Verletzung mit dem Hinweis auf Wiedergutmachung wie auf einem Tablett immer wieder hinterhertragen. Durch das Hinterhertragen haben wir keine Hände mehr frei und sind in unserer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Verletzungen und Enttäuschungen begleiten uns durchs Leben. In einer Welt voller Hektik vergessen wir schnell, innezuhalten und uns mit den Gefühlen auseinanderzusetzen.
Meine Geschichte mit der Vergebung
Als ich noch eine junge Frau war, starb meine geliebte Mutter viel zu früh. Tage- und nächtelang haben mein Bruder, mein Onkel, mein Vater und ich sie im Wechsel in den schweren Stunden bis zu ihrem Tod begleitet. Der Abschiedsschmerz ging tief und war schwer zu bewältigen. Sechs Wochen später lud mein Vater meinen Bruder und mich zu seinem Geburtstagsessen ein. Er kam aber nicht allein, sondern er stellte uns seine neue Freundin vor. Wieder ein Schmerz, der tief ging und schwer zu bewältigen war. Ein halbes Jahr später flogen die Möbel meiner Eltern aus dem Haus raus und die neue Freundin samt ihren Möbeln zog ein. Ein Schmerz, der tief ging und schwer zu bewältigen war. Weitere eineinhalb Jahre später erfuhr ich über einen Nachbarn meiner Eltern, dass mein Vater kurz vor seiner Hochzeit stand, die er auf den Todestag meiner Mutter terminiert hatte. Ein Schmerz, der tief ging und extrem schwer zu bewältigen war.
Viele Jahre bin ich mit einem verschlossenen und nachtragenden Herzen durchs Leben gelaufen. Bei jedem neuen Hinschauen kam der Schmerz erneut auf. Ein Schmerz, der eben tief ging und schwer zu bewältigen war. Gott ist ein kreativer Gott und er weiß genau, wo und wie er uns erreichen kann. So führte mich mein Weg zu team-f. Auf dem Seminar »Freiheit erleben – Beziehungen klären« habe ich mich für Gott entschieden und bin meine ersten Schritte im Vergebungsprozess gegangen. Es hat einige Jahre gedauert, zu verstehen, worum es bei der Vergebung geht. Nämlich, dass es meine Entscheidung ist, an dem Schmerz und der Situation festzuhalten oder loszulassen, zu vergeben und Gott wirken zu lassen. Gott ist der Richter und nicht ich.
Loslassen, vergeben und Gott den Richter sein zu lassen, bedeutet Freiheit.
Ich werde den Schmerz nie vergessen, aber es tut nicht mehr weh. Das ist der entscheidende Unterschied. Der Kontakt zu meinem Vater war über all die folgenden Jahre sehr schwach, aber an seinem Sterbebett konnte ich ihm aus freiem Herzen meine Vergebung zusprechen und ihm sagen, dass ich ihn liebe.Viele Jahre bin ich mit dem Schmerz und dem Gedanken rumgelaufen, dass ich verletzt worden bin und mein Vater alles wieder gut machen müsse. Schließlich habe ich da ein Recht drauf! Dieser Drang auf Wiedergutmachung führte meine Seele in ein Gefängnis. Ich war lange damit beschäftigt, den Schmerz hinunterzudrücken und in Zaum zu halten. Was für ein Kraftakt!
Vergebung ist eine Entscheidung
Dann habe ich gelernt und erkannt: Es ist meine Entscheidung, wie ich mit der Verletzung, die ich empfunden habe, umgehe. Behalte ich den Schmerz, der mich beim Hinschauen zum Zittern gebracht hat? Behalte ich meinen Groll und meine Bitterkeit, die nach Wiedergutmachung geschrien hat? Gott stand da und wartete auf meine Entscheidung. Er sah meinen Schmerz und mein verschlossenes, nachtragendes Herz. Vergebung ist sein Angebot an uns, die uns in die seelische und geistliche Freiheit führt. Wir dürfen als seine Kinder Jesus unser Herz mit allen Wunden und Schmerzen hinhalten, um Heilung für unsere Seele zu erfahren. Vergebung wird oft als Schwäche interpretiert, doch in Wahrheit ist sie ein Zeichen von Stärke. Indem wir anderen vergeben, befreien wir uns selbst von den Fesseln der Vergangenheit.
»Wenn du jemandem vergibst, setzt du einen Gefangenen frei; und später realisierst du, dass du der Gefangene warst.«
Das schrieb Lewis Smedes, christlicher Autor, Ethiker und Theologe aus den USA. Manchmal ist der erste Schritt der Vergebung nur eine Willensentscheidung und die eigentliche Entscheidung findet später statt. Vergeben ist auch manchmal mehrmals notwendig, weil es sich schon so fest in die Seele eingebrannt hat, oder der Schmerz so tief geht. So macht ein »Ich möchte vergeben.« oder »Ich vergebe.« einen großen Unterschied in meiner Entscheidung.
Vergebung ist ein Prozess
In dem Prozess ist das Loslassen des Schmerzes auf dem Weg in die Freiheit ebenso wichtig. Den Schmerz Jesus ans Kreuz geben und loslassen. IHM, der unseren Schmerz mit in den Tod nimmt und in der Auferstehung uns die Freiheit schenkt. Loslassen heißt aber auch, den Schmerz aus der Hand zu legen, am Kreuz abzulegen und nicht wieder mitzunehmen. Oft brauchen wir die Kraft von Jesus, um loszulassen. Da kann es hilfreich sein, die Vergebung und das Loslassen im Gebet im »Namen Jesu« auszusprechen.
Vergebung und Loslassen sind keine einfachen Prozesse, aber sie sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem friedvolleren und freien Leben. Indem wir uns bewusst dafür entscheiden, alte Verletzungen loszulassen und Frieden mit der Vergangenheit zu schließen, können wir unser Herz wieder für Beziehungen öffnen – für Beziehungen um uns herum und zu unserem himmlischen Vater. Vergebung und Loslassen ist oft ein echter Kraftakt und ein seelischer Kampf, aber bei team-f wirst du Mitarbeitende finden, die dir helfen und dich in diesem Prozess begleiten.
Vergebung und Loslassen sind auch notwendige Voraussetzungen, um frei aufeinander zugehen können. Erst diese beiden Schritte versetzen uns in die Lage, in Richtung Versöhnung zu gehen. Und Versöhnung ist ein Beziehungsakt, der von beiden Beteiligten gewollt und vorbereitet werden sollte, für ein Aufeinanderzugehen und Verstehen.
Zur Autorin: Bettina Pfaff lebt mit ihrem Mann Markus an der Nordsee. Sie haben zwei erwachsene Kinder. Als Regionalleitende sind sie für team-f tätig und lieben es, sich in die Menschen zu investieren. Sie leiten die Seminare »Freiheit erleben – Beziehungen klären«, »Unsere Ehe soll gelingen« und »Gott in unserer Ehe«.