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Glühwein im Mai

Das Weihnachtsfest entstressen

Fast jedes Jahr am 24. Juni beglückt mich meine Kollegin mit der Feststellung: „Heute in sechs Monaten ist Weihnachten.“ – ich verdrehe die Augen. Im Juli kommt zum ersten Mal die Frage auf, wie unsere diesjährige Büro-Weihnachtsfeier aussehen könnte, während der Ventilator auf Hochtouren läuft.

Ende August bringt ein Kollege Dominosteine mit ins Büro. Ich ignoriere sie hartnäckig. Im September verkündet meine Kollegin, dass sie neue Keksdosen hat – im Weihnachtsdesign. Ich vermisse den Sommer.

Im Oktober putzt meine Nachbarin gefühlt in jeder freien Minute, damit spätestens ab November dort die ganze Weihnachtsdekoration zur Geltung kommt. Bei so vielen Lichterketten wundere ich mich jedes Jahr, dass der Rest des Dorfes noch Strom hat. Und obwohl mein Umfeld und der Einzelhandel mich freundlicherweise bereits ein halbes Jahr vorher darauf vorbereiten, kommt Weihnachten doch jedes Jahr irgendwie überraschend.

Viele Jahre stand ich mit Weihnachten wirklich auf Kriegsfuß und die Vorweihnachtszeit war für mich die stressigste und schlimmste des ganzen Jahres.

Jede Klasse, Lerngruppe, Gemeindegruppe, Musikschule, Nachmittagsbetreuung, Abteilung auf der Arbeit, jeder Sportverein oder Krabbelclub musste in dieser Zeit noch schnell eine Weihnachtsfeier unterbringen. Die Kinder übten Musicals, Anspiele und Gedichte ein. Jeden Tag irgendwelche Proben. Adventskalender mussten her, am besten selbst gebastelte. Zudem haben fünf Personen aus unserer Familie im Dezember Geburtstag. Und Nikolaus ist ja auch noch. So viele Leute sollten mit passenden Geschenken, Karten und Aufmerksamkeiten bedacht sein. Ich musste mit den Kindern Plätzchen backen und das Haus weihnachtlich dekorieren. Dachte ich jedenfalls. In Wirklichkeit hatte ich überhaupt keine Lust dazu. Die Einkäufe nahmen überhand und eine ältere Dame fragte mich an der Kasse etwas mitleidig: „Sie haben sicher sehr viele Kinder, oder?“ Essensplanung, Kuchen backen für Basare und Feiern, Erwartungen der Verwandtschaft… und überall wurden die Kinder beschenkt mit Zuckerzeug. Was Neues zum Anziehen brauchte ich auch noch. Und dann war es auch noch nasskalt und um fünf Uhr dunkel. Überall roch es nach Räucherstäbchen. In der Stadt rannte ein übermotivierter Weihnachtsmann rum, der „Hohoho“ rief. Er trug eine Mütze, die blinkte und an der ein nervtötendes Glöckchen bimmelte. Unentwegt. Ich wollte ihm am liebsten ‚eine reinhauen‘.
Dazu kam die innere Erwartung, dass ich endlich irgendwie mal besinnlich drauf sein müsste.

Ehrlich gesagt war es oft so, dass die Kinder bis zum eigentlichen Weihnachtsfest völlig überdreht und überreizt waren und ich müde und genervt unter dem Baum saß und in meinen Glühwein heulte, wobei ich insgeheim hoffte, erste Anzeichen einer Erkältung an mir zu entdecken. Oder wenigstens Kopfschmerzen, damit ich die nächste Familienfeier einfach auslassen kann. Ich bedauerte mich selbst dafür, dass ich zu einem hysterischen Nörgelmonster geworden war – jemand, der ich nie sein wollte.

Und dann hauchte alljährlich spätestens am 2. Weihnachtstag der Christbaum sein Leben aus: Der Hund fand die Kugel, die ganz oben hing, total verlockend und sprang kurzerhand hoch, um sie zu holen. Da wir mit einem Holzofen heizen, war der Baum schnell ziemlich trocken und ließ in einem spontanen Akt der Selbstaufgabe ungefähr 100% seiner Nadeln fallen. Bis Anfang Januar stand dann ein veganes Skelett in unserem Wohnzimmer mit zerbrochenen Kugeln drunter. Aber die Lichterkette ging noch. Ein Symbol meiner empfundenen Trostlosigkeit.

Irgendwann reichte es. Ich war mir ganz sicher, dass Weihnachten so nicht gedacht sein kann und habe zusammen mit meiner Familie alles, was den Dezember bis dahin ausgemacht hatte, auf den Prüfstand gestellt.

Und nicht allzu viel hat es in die Gegenwart geschafft. Ich hab mich so danach gesehnt, im Innern zur Ruhe zu kommen und nach dem echten Weihnachtsfest. Der Freude darüber, dass Gott in unsere, in meine Welt gekommen ist und die unglaubliche Hoffnung, die damit verbunden ist. Die Vorfreude. Die echte Freude.

Zunächst haben wir vor Jahren, als die Kinder noch kleiner waren, die Weihnachtskrippe von Playmobil gekauft. Und sie spätestens Anfang Dezember aufgebaut. So war die Weihnachtsgeschichte durch die Adventszeit hindurch ein tägliches Thema und wurde zig Mal nach gespielt. Klar, Playmobil ist nicht gerade erzgebirgische Holzkunst und es kam auch schon mal vor, dass das Jesuskind mit dem Helikopter ausgeflogen wurde, um es vor dem bösen König Herodes zu schützen, was vielleicht nicht so ganz bibeltreu ist. Doch dafür ergaben sich auch lustige Gespräche. Zum Beispiel, als unsere Tochter fragte, warum wir immer nur von Herodes erzählen, aber nie von Frau Rodes!

Ich begann, die Weihnachtsgeschenke das ganze Jahr über zu besorgen, nicht erst im Dezember. Wann immer ich etwas finde, das zu einem meiner Herzmenschen passt, nehme ich es mit. Und manchmal verschenke ich es auch schon vor Weihnachten und sage dazu, dass ich das im Dezember nicht schaffe, so dass die eigentlichen Feiertage dann wirklich für die Kernfamilie reserviert sind. Insgesamt wurden die Geschenke und Karten ziemlich reduziert. Diesen Einschnitt haben alle überlebt und mir dämmerte, dass ich nicht an den Erwartungen der anderen gescheitert war, sondern an meinen eigenen.

Mit unseren Kindern, die gar nicht so gerne Süßigkeiten mögen (ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie das sein kann), haben wir uns darauf geeinigt, dass es nichts zum Nikolaus gibt und wir stattdessen gemeinsam für eine Hilfsorganisation spenden. Die Kinder dürfen aussuchen, welche das sein soll. Ohne Zwang, jeder kann das beisteuern, was er möchte. Das schafft eine schöne Verbindung und gute Gespräche – und funktioniert übrigens auch zu Ostern.

Das Plätzchen backen mit den Kindern haben dankenswerterweise zeitweise die Omas übernommen. Inzwischen sind die Kinder groß und machen das alleine. Ich mache mir nicht mehr den Druck, sieben Sorten Kekse zu backen, sondern vielleicht eine oder zwei, wenn ich die Zeit dazu finde und Spaß daran habe. Und wenn nicht, schmecken die gekauften auch ganz gut.

Es gibt auch keinen Weihnachtsbaum mehr bei uns. Als ich irgendwann mal erwähnt habe, dass dieses blöde Ding mich jedes Jahr echt nervt, stellte sich heraus, dass es allen anderen genau so geht. Insgesamt begrenzt sich meine Deko auf ein paar schöne Highlights. Stattdessen kann ich mich jetzt umso mehr an den Weihnachtsbäumen und vielen Lichterketten in der Stadt oder in anderen Häusern freuen.

Und tatsächlich muss man auch nicht an jeder Weihnachtsfeier teilnehmen. Offen gestanden auch nicht an jeder Familienfeier. Ich finde, man darf Einladungen ablehnen, wenn es einfach zu viel wird. Ich lehne es auch ab, im Dezember für Basare oder Weihnachtsmärkte zu backen oder zu basteln. Das kommt nicht immer gut an und ich kämpfe immer noch jedes Mal gegen mein schlechtes Gewissen an, aber ich unterstütze seit Jahr und Tag jede Veranstaltung von Schulen oder Vereinen. Im Dezember eben einfach mal nicht. Den etwas beleidigten Blick der schmollenden Elternvertretung lernt man auszuhalten.

Nach wie vor bin ich mehr ein Sommermensch. Und ich freue mich jetzt schon wieder auf den nächsten Frühling, auf lange Abende am Lagerfeuer, Grillen mit Freunden, viel Zeit draußen.

Aber ich freue mich tatsächlich auch auf die Weihnachtszeit. Weil ich ein paar freie Tage mit den wichtigsten Menschen in meinem Leben genießen werde. Weil Gott in unsere, in meine Welt gekommen ist. Weil diese Zeit so wertvoll ist.

Als ich meinen Kollegen erzählt habe, dass ich angefragt wurde, für einen Artikel zum Thema „Vorfreude auf Weihnachten“, haben sie sehr gelacht. Sie kennen ja mein gespaltenes Verhältnis zu dieser Zeit im Jahr. Und ich hab auch sehr gelacht. Und mich gefreut.

Dominosteine im August finde ich allerdings nach wie vor genauso passend, wie Glühwein im Mai.
Frohe Weihnachten – jedem auf seine Weise.

Petra Miß

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