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Jedes Kind ist anders und einzigartig

Unterschiedliche Persönlichkeiten unter einem Dach

von Eberhard Mühlan

Jedes Baby kommt als ein Original mit individuellen Temperamentsanteilen zur Welt. Es ist spannend, seine Entwicklung zu begleiten. Regelrecht abenteuerlich kann es werden, wenn sich dann in den Teenagerjahren die individuellen Persönlichkeitszüge immer starker ausprägen. Nur gut, wenn Eltern das Temperamentsmuster ihres Kindes erkennen und fördern können.

Jede Familie – eine Welt für sich
Jede Familie ist eine Welt für sich. Nehme ich nur einmal unseren Mühlan-Clan: Vater, Mutter, sechs angenommene und sieben leibliche Kinder. Claudia und ich – jeder hat seinen eigenen Stil und seine eigene Art auf die Kinder einzugehen. Claudia von Haus aus die etwas kühlere, strengere, ich der etwas warmherzigere, großzügigere… Beide sind wir allerdings durchorganisierte Arbeitstypen. Wenn wir zupacken, fliegen die Fetzen! 

Wenn ich so an die Hoch-Zeit unseres Familienlebens zurückdenke: Wir lebten in einem großzügig gestalteten alten Haus. Da gab es immer etwas zu renovieren und zu reparieren, und die Kinder bekamen viele handwerkliche Fähigkeiten mit, die sie heute selbst nutzen. Dann zeichnete uns ein regelrechter „Natur-Tick“ aus: Die Kinder wuchsen mit Garten, Tieren und gesunder Ernährung auf. Urlaube verbrachten wir am liebsten als Globetrotter in einem verschwiegenen Winkel der Welt. Pilze sammeln, angeln, die halbe Nacht am Lagerfeuer verbringen, im Freien schlafen und möglichst keinen anderen Menschen dabei begegnen.  

Und dann die einzelnen Kinder! Wenn wir genauer hinschauen, ist jedes ein Original mit seinen eigenen Fähigkeiten und Begrenzungen. Sie haben eigentlich alle unsere Liebe zur Natur übernommen und setzen dies wiederum in ihren eigenen Familien um. Auch scheinen alle eine fast unbändige Reiselust „geerbt” zu haben. Jedes ist auf seine Art praktisch und kreativ. Den flinken Arbeitsstil haben allerdings nicht alle übernommen. Im Vergleich zu Claudia und mir gibt es langsamere Typen, die Arbeit anders angehen als wir beide.  

Und dann ihre unterschiedlichen Interessen! Das eine Kind konnte sich mit unserem Berner Sennenhund stundenlang draußen herumtreiben und starb vor Langeweile, wenn es sich bei schlechtem Wetter drinnen beschäftigen musste, ein anderes schuf sich in seinem Zimmer durch Zeichnen, Musizieren und Schmökern seine eigene Welt.  

Am auffallendsten: Ein Kind hielt sich leichter an Familienregeln, während ein anderes eine ganz schöne Portion Standhaftigkeit und Konsequenz unsererseits benötigte, bis es einlenkte. Die eine sang und strahlte fast immer, der andere zog eher verschlossen durchs Haus – und war besonders morgens nicht ansprechbar. Oder: Er, das Plappermäulchen und sie, die verschmuste Stille. Da gab es den Arbeitswilligen, der ungefragt mit anpackte, und den Drückeberger, der einfach nicht zu finden war, wenn es nach Arbeit roch – und das alles unter einem Dach. Bei der Mischung von angenommenen und  eigenen Kindern ergab das ein sehr buntes Bild und erforderte enorme Flexibilität im Umgang mit jedem einzelnen. Das mussten wir erst einmal lernen!

Den Temperamentstyp richtig erkennen
Die Typeneinteilungen nach extrovertierten und introvertierten Menschen oder die Gliederung nach Hippokrates (Sanguiniker, Phlegmatiker, Choleriker und Melancholiker) sind vielen vertraut. Wir haben uns darüber hinaus intensiv mit dem Persönlichkeitsprofil nach DISG befasst. Gerade weil Claudia und ich sehr unterschiedliche Typen sind, hat es uns in unserer Paarbeziehung enorm geholfen. Auch hat es Freude gemacht und stark zum Familienfrieden beigetragen, als wir den Test mit unseren älteren Kindern durchgegangen sind. Es ist uns allerdings schwergefallen, das DISG Persönlichkeitsprofil auf Kleinkinder zu beziehen. Als wir dann jedoch auf die drei Temperamentstypen nach Chess und Thomas stießen, war es für uns regelrecht befreiend. Endlich einmal Material, das sich direkt auf Kleinkinder anwenden lässt! Deswegen möchte ich diese beiden Modelle hier vorstellen: Die drei Temperamentstypen nach Chess und Thomas für Babys und Kleinkinder und DISG für Grundschulkinder, Teenager und Erwachsene.

Die drei Temperamentstypen nach Chess und Thomas                                                           
Über mehr als zwanzig Jahre haben die amerikanischen Psychologen Chess und Thomas in einer aufwändigen Langzeitstudie die Entwicklung von Kindern vom Säuglings- bis ins Erwachsenenalter begleitet. Eine ihrer wichtigsten Beobachtungen: Babys sind von Anfang an unterschiedlich! Die Unterschiede zeigen sich in den verschiedenen Temperamentsmerkmalen, die man ebenso als ererbtes „Energieschema “ bezeichnen kann.  
In der Auswertung ihrer Langzeitstudie weisen die Autoren insbesondere auf drei häufig auftretende Kombinationen von Temperamentsanteilen hin: Das „einfach zu handhabende Kind“, das „schwierig zu handhabende Kind“ und das „langsam zu erwärmende Kind.“
Für ein Kind mit ausgeglichenem Niveau in den verschiedenen Temperamentszügen, dem „einfach zu handhabenden Kind“, brauchen Eltern normalerweise keine besondere Erziehungsstrategie. Eine unserer Töchter war so eins. Als Kleinkind war ihr Aktivitätsniveau wunderbar ausgeglichen. Was Schlafen und Essgewohnheiten betraf, war ihr biologischer Rhythmus schon frühzeitig wohltuend auf Erwachsenenbedürfnisse ausgerichtet.   
Eltern mit einem vom Temperament „schwer zu handhabenden Kind“ benötigen zunächst einmal Ermutigung und die Entlastung, dass es nicht allein ihre Schuld ist, wenn es manchmal „munter“ zugeht – und dann brauchen sie Tipps für spezielle Situationen. Wer sich mit einem „schwierig zu handhabenden Kind“ gut arrangieren kann, gehört zu den wahren Pädagogen! Diese Kinder haben unregelmäßige Schlaf- und Essensgewohnheiten und gewöhnen sich nur langsam an neue Nahrungsmittel oder Situationen. Sie zeichnen sich durch eine hohe Aktivität aus und weinen, lachen oder schreien recht häufig und lautstark.  
Das „langsam zu erwärmende Kind“ kann die gleichen Temperamentsanteile aufweisen wie ein schwer zu handhabendes, nur nicht so ausgeprägt. So ein Kind wird bei neuen Personen, in einer fremden Umgebung und bei neuen Erfahrungen immer vorsichtig reagieren, sich eventuell zurückziehen und eine Anpassungszeit brauchen. Es benötigt geduldige Eltern, sonst entsteht ein schlechtes „Zusammenspiel“!  Es wird einige Zeit dauern, bis es zu einem neuen Babysitter Vertrauen fasst.  

Das DISG Persönlichkeitssprofil
DISG ist genau genommen kein Persönlichkeitsprofil, sondern ein Verhaltensprofil. Denn DISG beschreibt und gliedert Verhalten, das jedermann beobachten kann, ob Fachmann oder Laie. DISG steht für vier Grundverhaltensstile „dominant”, „initiativ”, „stetig”, und „gewissenhaft”. Allein am Spielverhalten ihres Kindes können Eltern beobachten, zu welchem Verhaltensstil ihr Kind tendiert. Ein Kind, das bereits sehr früh auf Entdeckungsreise geht, immer Neues ausprobieren muss, schwer verlieren oder ein Nein akzeptieren kann, gehört zu den Menschen mit einem dominanten Grundverhalten. Ein Kind, das Ihnen ein Loch in den Bauch redet, ständig Menschen um sich herum braucht, pausenlos neue Ideen hat, aber kaum etwas zu Ende bringt, zeigt initiative Verhaltenstendenzen. Ganz anders stellt sich eine dritte Gruppe dar, die mit stetigen Verhaltenstendenzen: Diese Kinder sind ruhige, angenehme Spielkameraden, die sich nur ungern auf Neues einlassen. Sie basteln und malen gern und vertrödeln gern die Zeit. Und dann sind da noch die Kinder mit gewissenhaften Verhaltenstendenzen, die schon früh ihre Spielsachen nach einem bestimmten System stapeln, die aus Spielzeug perfektionistisch lange Reihen stellen. Alles muss seine Ordnung haben. Sie sehen, beide Modelle haben starke Parallelen. Für Kleinkinder bis ins Grundschulalter ist es ratsam von den eben vorgestellten Temperamentstypen nach Chess und Thomas auszugehen. Kommen die Kinder dann in die Vorpubertät und  ins Teenageralter, ist es ideal, die erworbenen Erkenntnisse nach dem DISG Persönlichkeitsprofil zu vertiefen. Dazu kann man gemeinsam ein Seminar besuchen oder als Einstieg auch einen kostenlosen Test im Internet  durchgehen. Danach hat man eine ideale Grundlage, um über die Einzigartigkeit, die Stärken und Schwächen jedes Familienmitgliedes zu sprechen. Wir haben dazu besonders die entspannten Urlaubszeiten genutzt. Unsere Kinder waren immer sehr interessiert, welchem Typ sie selbst und ihre Geschwister zuzuordnen waren. Das Erkennen und Akzeptieren der unterschiedlichen Typen hat uns als Familie enorm geholfen, verständnis- und rücksichtsvoller miteinander umzugehen.

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