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Den Drachen aus der Kindheit besiegen

– von Maria Steuer

Drachen werden oft als Symbol verwendet, um auf etwas Bedrohliches oder Unkontrollierbares hinzuweisen. Drachen der Kindheit wirken in Situationen, in denen ein Gefühl der Ohnmacht vorherrscht.

Ein Baby hat keinen Einfluss darauf, ob die Eltern begeistert von ihm sind oder eher genervt. Die Lebensumstände der Eltern und ihre Erwartungen bestimmen mit über ihr Verhalten dem Baby gegenüber. Ein Baby kann nur erfahren oder erleben, mit welchem Verhalten es willkommene Reaktionen bekommt oder ablehnende oder aber auch gar keine.

Da Babys und Kinder es am liebsten haben, wenn Eltern sich ihnen gegenüber positiv und annehmend verhalten, fangen sie meist schon in diesem jungen Alter an, ihr Verhalten anzupassen. Unerwünschtes Verhalten meiden sie und erwünschtes Verhalten wiederholen sie. Wenn z. B. ein Baby mit lautem Schreien erreicht, dass seine Mutter es beachtet und hochnimmt und beruhigt, lernt es, dass sich diese Aktion gelohnt hat. Ein Baby, das eine solche Reaktion nicht erreicht, wird das laute Schreien nicht wiederholen. Es wird andere Möglichkeiten ausprobieren, um die gewünschte Zuwendung zu bekommen. Welches Verhalten erwünscht oder unerwünscht ist – darauf hat es keinen Einfluss.

So entstehen Strategien, die bis ins hohe Alter wirksam sind.

In der Kindheit sammelt ein Kind also eine Vielzahl an Erfahrungen, sowohl zustimmende, fördernde als auch ablehnende, hemmende. Ein häufiges Missverständnis entsteht, wenn Eltern ihr Kind anspornen wollen. Unabsichtlich wird die Botschaft vermittelt, dass es nicht gut genug ist, dass es besser sein könnte, wenn es sich nur mehr Mühe geben würde. Täglich wiederholte und bestimmt gut gemeinte Hinweise von Eltern an ihre Kinder führen zu diesem tiefsitzenden Lebensgefühl.

(Un)bewusste Botschaften
»Das kannst du besser!«, »Gib dir mehr Mühe.«, »Hör auf, mich zu nerven!«, »Ich habe jetzt keine Zeit für dich.«, »Du bist wie deine Oma.«, »Da bist du selbst schuld.«, »Immer lässt du alles herumliegen.« – Solche Sätze haben die Botschaft an das Kind, dass es den Erwartungen der Eltern in letzter Konsequenz nicht wirklich entspricht. Das Selbstbewusstsein eines Kindes schrumpft, insbesondere wenn die negativen Sätze überwiegen. Das Kind versucht, den Erwartungen der Eltern zu entsprechen und sich anzupassen und gibt sich alle Mühe, um endlich gemocht zu werden.

Eltern haben also ein Wertesystem, an dem sie ihr Kind messen. Das Wertesystem ist bereits im Babyalter aktiv und wird nonverbal vermittelt. Ein »gutes Baby« schläft durch, schreit wenig, ist leicht zu beruhigen oder respektiert den Ruhebedarf des Elternteils.

Ein Baby kann fühlen, ob es – so wie es ist – in Ordnung ist.

Das als Kind erlebte Gefühl, nicht gut genug zu sein, führt dazu, dass wir uns auch als Erwachsene immer wieder in Situationen erleben, in denen wir uns nicht angenommen fühlen. Wir fühlen uns nicht wertig genug, um z. B. eine Gehaltserhöhung zu bekommen oder um einen liebevollen Partner zu haben. Wir versuchen nun das Gleiche wie als Kind. Wir geben uns mit unserem Verhalten viel Mühe, um dem Gegenüber zu gefallen.

Aber: Vorsicht Falle!
Bei den Eltern wussten wir, was wir machen mussten, um Aufmerksamkeit und positive Reaktionen zu erhalten. Wir hatten bereits als Kinder unbewusst gelernt, mit welchem Verhalten wir gut angekommen sind und mit welchem nicht. Als Erwachsene nehmen wir nur an oder versuchen zu erfühlen, welche Erwartungen in der Luft liegen, die wir erfüllen sollten, um wieder positive Reaktionen zu erleben. Wir überprüfen unsere Annahmen nicht, wir betrachten die Realität durch die Brille der Kindheit.

Das aber, was uns ausmacht, das, was wir wirklich sind, trauen wir uns nicht zu leben. Es wäre zu ungewiss, welche Reaktionen wir dann bekämen, Annahme oder Ablehnung. Deshalb suchen wir uns unbewusst immer wieder Menschen, die so ähnlich ticken wie die Menschen in unserer Familie, weil es sich so vertraut anfühlt und wir hier genau wissen, wie wir Anerkennung bekommen.

Menschen, die uns nicht kritisieren, misstrauen wir eher. So kommt es, dass wir oft Partner wählen, die dem Vater oder der Mutter ähnlich sind. Wir verwechseln »sich vertraut fühlen« mit »Liebe«.

Was bleibt, ist die Sehnsucht nach einer bedingungslosen Liebe, nach Wertschätzung durch die Arbeitskollegen, nach einer beruflichen Beförderung.

Reise in die Kindheit
Die Realisierung solcher Wünsche oder zumindest ein erster Schritt in Richtung Änderung ist möglich durch eine Reise in die Kindheit, wo wir den Drachen der Minderwertigkeit aus der Kindheit besiegen.

Wenn wir verstehen, dass unser Gefühl, nicht genug zu sein, in der Kindheit entstanden ist und zwar auf Grund der Reaktionen der Umgebung auf unser Verhalten, ist der erste Schritt getan. Wir können jederzeit kurz innehalten und einen »Realitätscheck« machen.

Wenn z.B. eine Frau auf Grund ihrer Beobachtungen aus der Kindheit die Annahme hat, ein Mann drückt seine Liebe aus, indem er einmal im Monat Blumen schenkt und sie einen Partner hat, der nicht im Traum an so etwas denkt, dann könnte sie glauben, er würde sie nicht genug lieben. Hier wäre ein Realitätscheck hilfreich: Sie könnte ihrem Partner von ihrer Annahme erzählen und fragen, ob sie Recht damit hat. Nun kann sie erfahren, ob dem so ist oder ob ihr Partner seine Liebe ganz anders ausdrückt – vielleicht bringt er ohne Aufforderung regelmäßig den Müll weg – und der Partner wiederum versteht mehr und kann überlegen, ob er eventuell Lust hätte, ihr regelmäßig Blumen mitzubringen.

Wer Klarheit darüber hat, wie er zu dem Menschen heute geworden ist, hat die Chance, sich zu ändern und eine neue Selbstliebe zu entdecken. Und er muss auch nicht sein Kindheitspaket unbewusst und unreflektiert an die eigenen Kinder weitergeben.

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