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Gaming Disorder

Wenn Mediennutzung Sucht wird

Immer mehr Jugendliche rutschen heutzutage in eine medienbezogene Sucht. Was steckt hinter dieser Sucht und woran können Eltern eine (drohende) Abhängigkeit erkennen? Wie können Eltern ihren Kindern helfen und wie können Risiken reduziert werden? Das sind Fragen, mit denen wir uns an der team-f Akademie beschäftigen.

Die digitale Welt hat sich in den letzten 20 Jahren rasant entwickelt. Computer, Smartphones und das Internet sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Sie sind fester Bestandteil unseres Berufslebens und unserer Freizeit. So wachsen Kinder heute als sogenannte „Digital Natives“ ganz selbstverständlich mit den neuen Medien auf. Von Anfang an werden Kinder mit den unbegrenzten Möglichkeiten der virtuellen Welt konfrontiert und sie erleben hautnah, wie ihr Umfeld mit diesen Medien umgeht. Das bedeutet aber nicht, dass sie ganz automatisch eine gesunde Medienkompetenz entwickeln. Das müssen Kinder erst noch lernen und sie brauchen die Hilfe ihrer Eltern, sowohl in der realen als auch in der digitalen Welt ihren Platz zu finden. Damit stehen Eltern vor einer großen Herausforderung, denn die digitalen Medien tragen neben all ihren Vorteilen ein großes Suchtpotential in sich, das besonders im Kindes- und Jugendalter nicht zu unterschätzen ist.

Glückmomente durch Dopamin
Um das zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, welche Wirkung Computerspiele auf das Gehirn von Heranwachsenden haben. Beim Spielen wird der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet, der für schöne Gefühle sorgt. Damit wird quasi ein Belohnungssystem in Gang gesetzt. Jeder Erfolg beim Spielen lässt die Stimmung steigen und führt dazu, dass der Gamer dieses euphorische Gefühl wieder erleben möchte. Die biochemischen Prozesse im Gehirn sind vergleichbar mit einem Drogenrausch. Ganz bewusst nutzen die Spieledesigner genau diese psychischen Mechanismen, um ihre Spiele attraktiv zu machen und die Nutzer daran zu binden. Das gleiche gilt übrigens auch für die Nutzung sozialer Medien wie TikTok, YouTube oder Instagram.

Dazu kommt, dass das Gehirn eines jungen Menschen noch nicht so ausgereift ist, dass ein Jugendlicher in der Lage wäre, aus einem solchen Flow auszusteigen. Gerade der Teil des Gehirns, der für vernünftige Entscheidungen und vorausschauendes Abwägen zuständig ist, befindet sich in der Jugendphase im Umbruch und vieles wird ausschließlich emotional betrachtet. Aus genau diesem Grund fällt es Teenagern auch so schwer, das Computerspiel zu beenden, wenn die Eltern ins Zimmer kommen und die Medienzeit für beendet erklären. Und so erleben Kinder und Eltern in ihrem Alltag häufig Szenen wie solche:

„Jetzt leg‘ dein Handy endlich weg, du hast genug gespielt.“
 „Ja gleich, nur noch ein Level.“
„Okay, noch fünf Minuten, aber danach machst du sofort deine Hausaufgaben.“
Zehn Minuten später: „Du hast dein Handy ja immer noch in der Hand. Du solltest doch Hausaufgaben machen.“
„Ja, warte ich. Ich mach ja gleich aus.“
„Das kann ja wohl nicht wahr sein. Wir hatten eine Vereinbarung. Es nervt, dass du dich an nichts hältst.“
„Boah, lass mich. Du nervst, wenn ich nicht in Ruhe zu Ende spielen kann.“

Zwei Bedürfnisse prallen aufeinander. Eltern wollen ihr Kind schützen und begrenzen die Medienzeit. Aber Kinder und Jugendliche wollen einfach entspannt weiter spielen, weil es Spaß macht und Hausaufgaben aus ihrer Sicht keine wirklich attraktive Alternative sind. Ausmachen ist dann einfach doof. Häufig reagieren Eltern darauf gestresst oder hilflos, was in emotionalen Diskussionen und Verhandlungen endet. Viele Kinder können sich aber irgendwann doch, trotz der großen Anziehungskraft der Medien, auf die Regeln und Grenzen der Eltern einlassen und finden einen guten Umgang – aber nicht alle.

Die Sucht nach dem nächsten Kick
Für manche Teenager ist die Anziehungskraft der Medien so stark, dass sie alles dafür tun, den nächsten Dopaminschub und Kick zu bekommen. Gerade wenn der Alltag belastend und frustrierend ist oder wenn man sich einsam oder unverstanden fühlt – was in der Pubertät nicht selten ein sehr dominantes Empfinden ist – tut eine Dosis Glückshormon einfach nur gut. Die schnelle Belohnung tröstet die Seele und die virtuellen Erfolge sind Balsam für das angeknackte Selbstwertgefühl. Und so ist es durchaus verständlich, dass belogen und betrogen wird, um Internetsperren zu umgehen oder das weggeschlossenes Handy zu stibitzen – mit dem Ziel, ein Stückchen mehr Medienzeit zu genießen. Kommt das ans Licht, ist die Enttäuschung auf Seiten der Eltern groß und die Kontrolle nimmt zu. Ein Katz-und-Maus-Spiel setzt sich in Gang mit verheerenden Wirkungen: Machtkämpfe, Vertrauensbrüche und belastete Beziehungen. Der Jugendliche verliert mehr und mehr den Bezug zur Wirklichkeit – alles dreht sich nur noch um das virtuelle Leben. Die möglichen Folgen sind Bewegungsmangel und Übergewicht, Schlafstörungen, Lern- und Konzentrationsstörungen und Beziehungsstörungen.

In den letzten Jahren ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die einen solch problematischen Umgang mit den digitalen Medien aufweisen, drastisch gestiegen. Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung  aus dem Jahr 2019 zeigen 22,4 Prozent aller 12- bis 17-jährigen Jugendlichen in Deutschland einen dramatischen Medienkonsum und 5,8 Prozent sind von einer medienbezogenen Störung betroffen – eine Situation, die sich während der Corona-Pandemie noch mehr zugespitzt hat. Alarmierend ist, dass die Zahl der Betroffenen steigt und das Einstiegsalter immer mehr sinkt.

Wege aus der Abhängigkeit
2019 hat die WHO die Computerspielsucht als diagnostizierbares und behandlungsbedürftiges Störungsbild anerkannt  und als „Gaming Disorder“ in den neuen Klassifikationskatalog ICD11 aufgenommen. Diese längst überfällige Entscheidung war ein wichtiger Schritt, weil nun Familien besser Hilfe bekommen können, wenn ihr Kind in diese Suchtfalle gerutscht ist.

Die WHO-Kriterien für eine Computerspielsucht sind für das Erkennen einer Sucht  ein hilfreicher Richtwert:

  • entgleitende Kontrolle etwa bei Häufigkeit und Dauer des Spielens
  • wachsende Priorität des Spielens vor anderen Aktivitäten
  • Weitermachen auch bei negativen Konsequenzen

Spätestens wenn das Aushandeln von Medienzeiten den gesamten Alltag beherrscht und das reale Leben über einen längeren Zeitraum vernachlässigt wird, sollten Eltern Hilfe suchen. Das Ziel in der Bekämpfung einer Sucht ist nicht die völlige Abstinenz, sondern einen neuen und entspannten Umgang mit den digitalen Medien zu entwickeln, sodass das reale Leben mit echten Kontakten und ganzheitlichen Sinneserfahrungen wieder an den richtigen Platz rücken kann. In der Regel geht das nur mit einer therapeutischen Behandlung und Eltern sollten sich nicht scheuen, sich Hilfe zu holen. Fachstellen hierfür findet man beispielsweise hier:

www.return-mediensucht.de

www.fv-medienabhaengigkeit.de

Eltern stark machen in der Prophylaxe
Ein starkes Selbstwertgefühl, emotionale Geborgenheit und stabile Familienbeziehungen sind das A und O in der Suchtprophylaxe. Um genau diese Themen geht es in unserem Fachbereich „Familie und Erziehung“. Unsere Studierenden erhalten Fachwissen über die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen und lernen unser ganzheitliches Erziehungskonzept kennen. Das Ziel ist, die eigene Erziehungskompetenz zu stärken und mehr Handlungssicherheit mit Kindern und Jugendlichen zu bekommen, auch im Bereich der Medienerziehung – eine wichtige Grundlage, um dann selbst in der Elternarbeit tätig sein zu können.

Wenn du Interesse hast, dich sowohl in der Theorie als auch in der Praxis mit pädagogischen Themen auseinanderzusetzen und Eltern zu schulen, bist du an der team-f Akademie an der richtigen Adresse. Weitere Infos zu Studieninhalten findest du unter www.team-f.de/akademie/allgemein oder bei unserer Akademie-Sekretärin Beate Radix-Schöne: orngr.fpubrar%grnz-s-nxnqrzvr.qr

Hilfreiche Tipps für die Medienerziehung

  • Sei selbst ein gutes Vorbild bei deiner Mediennutzung.
  • Begrenze die Medienzeit deiner Kinder.
  • Zeige Interesse an den sozialen Medien, Computerspielen und der Lebenswelt deiner Kinder.
  • Biete spannende Alternativen in der realen Welt an.
  • Fordere deine größer werdenden Teenager zu eigenverantwortlichen Handeln heraus.

Vita:

Sonja Brocksieper hat selbst an der team-f Akademie studiert und ist dadurch zur Mitarbeit bei team-f gekommen. Mittlerweile leitet sie gemeinsam mit ihrem Mann Jörg einige Erziehungsseminare und ist hauptverantwortlich für den Fachbereich „Familie und Erziehung“. Ihre Erfahrungen als Mama von drei Jungs teilt sie dabei gerne.

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